SOLWODI +++ Aktuell
Newsletter Nr. 79 vom 27.07.2022
Freispruch für Sr. Juliana Seelmann
Liebe Freunde und Freundinnen, liebe Interessierte,
am Donnerstag, den 14.07.2022, wurde Sr. Juliana von den Oberzeller Franziskanerinnen vom Landesgericht Würzburg freigesprochen. Sie und die Staatsanwaltschaft hatten Berufung gegen das Urteil vom 02.06.2021 eingelegt. Die Staatsanwaltschaft zog diese jedoch noch während der Verhandlung zurück. 2019 hatte sie zwei Nigerianerinnen, die nach Italien abgeschoben werden sollten, unterstützt. Laut Urteilssprechung hätte Sr. Juliana Seelmann 500€ Strafe an eine gemeinnützige Organisation zahlen müssen. Zusätzlich erhielt sie die Auflage, dass sie mit einer weiteren Geldstrafe sowie einem neuen Strafverfahren rechnen müsse, sollte sie in den nächsten zwei Jahren noch einmal ein Kirchenasyl gewähren.
Während der einstündigen Berufungsverhandlung besuchte auch eine unserer Vorstandsfrauen die Verhandlung, da es sich bei einer der zwei Frauen, die Sr. Juliana vor Menschenhandel und Prostitution schützen wollte, um eine Klientin von SOLWODI handelt. Die Klientin wurde in Italien Opfer von Menschenhandel und dort ausgebeutet. Der nigerianische Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung in Europa ist durchaus auch bei internationalen Organisationen ein anerkanntes Problem. So schätzt etwa die International Organisation for Migration (IOM), dass 80 % aller in Europa ankommenden nigerianischen Frauen potenziell von Menschenhandel betroffen sind.[1]
Eine einheitliche Asylrechtsprechung sucht man in Deutschland leider vergeblich. Einige Gerichte gehen von einem gut ausgebauten Netzwerk von Menschenhändler*innen zwischen Nigeria und Italien aus und sehen dementsprechend eine massive Gefahr bei der Rückkehr nach Italien, dem Ort der Ausbeutung.[2] Bei der Klientin, die Schutz durch das Kirchenasyl erhalten hat, vertrat das zuständige Verwaltungsgericht jedoch eine abweichende Position als andere Verwaltungsgerichte im Bundesgebiet und sah keine Gefahr einer sogenannten Reviktimisierung, also der Gefahr, dass die Frau erneut Opfer wird. Diese divergierende Rechtsprechung zeigt, dass es keineswegs einheitliche Auffassungen über die Bedrohungslage von Menschenhandelsopfern im Asylverfahren gibt.
Dass das Kirchenasyl insbesondere in Bayern aktuell massiv angezweifelt wird, ist nicht zu fassen. Dieses wichtige Hilfsmittel der Kirchen wird insbesondere von der bayerischen Justiz immer wieder angegriffen. Auch in der Berufung ging es weniger um die Würdigung der Gewissensentscheidung von Sr. Juliana Seelmann, sondern letztendlich um die Frage, ob sie die Schutz suchenden Frauen aktiv aufgefordert oder bewegt habe, im Kirchenasyl zu bleiben. Der Eindruck, dass die Frauen hier gegeneinander ausgespielt wurden, stellte sich ein, denn die Biografie unserer Klientin stand im Vordergrund, nicht aber das Kirchenasyl. Die Unterlassung, dass Sr. Juliana die Frauen nicht nach der negativen Entscheidung des BAMF abgewiesen hat, ist nicht strafbar. So begründete die Richterin den Freispruch der Ordensschwester mit einem ähnlichen vorangegangenen Urteil des Bayerischen Obersten Landesgericht in Bamberg von Ende Februar dieses Jahrs. Diesem Urteil nach begründet die Verpflegung und Beherbergung nach einem negativen Entscheid des BAMF keine Beihilfe.
Wir fordern, um die betroffenen Frauen zu unterstützen, die konsequente Umsetzung des Grundrechtsschutzes gegen Abschiebungen gemäß der Dublin-III-Verordnung von Betroffenen des Menschenhandels. Bis dies garantiert werden kann, begrüßen wir, dass Kirchen mit dem Instrument des Kirchenasyls diesen Leben, über deren Bedrohungslage sich die Gerichte streiten, Schutz gewähren. Das Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden oder mit juristischen und bürokratischen Eventualitäten ausgehöhlt werden. Wenn auch nur ein Anhaltspunkt besteht, der die Gefahr einer erneuten Zwangsprostitution untermauert, ist es die ethische Pflicht hier zu schützen. Und dies tun die Kirchen mit der Gewährung eines Kirchenasyls.
[1] https://www.iom.int/news/un-migration-agency-issues-report-arrivals-sexually-exploited-migrants-chiefly-nigeria
[2] Vgl. KOK: Grundrechtsschutz gegen Abschiebungen gemäß der Dublin – III- Verordnung von Betroffenen des
Menschenhandels. Eine Untersuchung zur aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Berlin, Juni
2019, S. 25
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Mit freundlichen Grüßen
Dr. Maria Decker, Gudrun Angelis und Barbara Wellner
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