Stabilisierungsphase
Häufig sind Migrant*innen betroffen von Menschenhandel. Ohne Aufenthaltstitel sind die Betroffenen zur Ausreise verpflichtet und können unter Umständen abgeschoben werden. Angst vor der Ausreise bzw. Abschiebung ist oft der Grund, weshalb die betroffenen Personen sich nicht an die Behörden wenden bzw. davor zurückschrecken, die Täter*innen anzuzeigen. Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist soll dies verhindern.
§ 59 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) definiert die Bedenk- und Stabilisierungsfrist im Kontext von Menschenhandel wie folgt: bekommt die Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der/die Ausländer*in Opfer einer Straftat geworden ist, so kann die Ausländerbehörde eine Ausreisefrist erteilen. Diese Ausreisefrist kann dem/der Ausländer*in genügend Zeit geben, um zu entscheiden, ob sie/er bereit ist, in einem möglichen Strafverfahren auszusagen. Dieser Zeitraum muss mindestens drei Monate betragen. Eine Ausnahme gilt, wenn das Opfer der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder anderen wesentlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient oder das Opfer freiwillig wieder Kontakt zu den Täter*innen aufgenommen hat. Konkrete Anhaltspunkte, dass eine Person betroffen von Menschenhandel ist, kann beispielsweise durch die Identifizierung als Opfer durch eine Fachberatungsstelle erfolgen.
Dieser Zeitraum ist sehr wichtig, da er den Opfern die Möglichkeit bietet, sich zu stabilisieren und sich von den Täter*innen und/oder traumatisierenden Erfahrungen des Menschenhandels zu erholen. Es bietet den Betroffenen von Menschenhandel auch die Möglichkeit, die besten Zukunftspläne für sich selbst in Erwägung zu ziehen. Sie können entscheiden, ob sie in ihr Heimatland oder einem anderen Aufnahmestaat (bspw. einen anderen EU Mitgliedstaat) zurückkehren oder in Deutschland bleiben wollen, um ein Strafverfahren gegen die/den Täter*in zu verfolgen oder der Polizei dabei zu helfen.
Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist ermöglicht es den Betroffenen sich bei einer Rechts- oder Fachberatungsstelle über ihre/seine Möglichkeiten, Rechte und Pflichten beraten zu lassen. Maßgeblich für die Gewährung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist ist die Identifizierung als Opfer von Menschenhandel sowie die Kontaktaufnahme zu einer spezialisierten Fachberatungsstelle oder einem/einer Rechtsanwalt/Rechtsanwältin. Ohne die Identifizierung kann das Recht des/der Betroffenen auf eine Bedenk- und Stabilisierung Frist nicht gewährleistet werden und die/der Betroffene kann abgeschoben werden, wenn er/sie keine weiteren Abschiebehindernisse gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen kann. Diese Informationen sind in Schaubild 2 zusammengefasst.
Daher ist es wichtig, dass Menschen, die mit Migrant*innen sowie anderen möglichen Betroffenen von Menschenhandel arbeiten, über die Rechte - insbesondere das Recht auf die Bedenk- und Stabilisierungsfrist - gut informiert sind. Unsere Empfehlung wäre, die übliche Bedenk- und Stabilisierungsfrist von drei auf sechs Monate zu erhöhen und die Weiterbildung von Menschen, die mit möglichen Betroffenen von Menschenhandel arbeiten, zu fördern.